Pecha Kucha zur Adventszeit

Die Wintersaison des SCHARF Schaffhauser Architektur Forum begann am
5. Dezember 2024 im Präsentations-Format Pecha Kucha; sechs getaktete Bildfolgen ergaben je 6 Minuten und 40 Sekunden gesprochene Textbotschaft. Das Thema: «Der architektonische Raum – privat und öffentlich». Das Resultat: abwechslungsreiche, inspirierende Unterhaltung.

Text und Bilder: Manuel Pestalozzi*

↑ Pecha Kucha ist auch ein Wettbewerb. Wer hier siegte, trug eine Flasche und eine Schote davon.

Zu dieser Veranstaltung lud das SCHARF in den TapTab-Musikraum im Kammgarn, in Schaffhausens Altstadt. Es war nicht sein erster Pecha Kucha-Event, doch für alle Fälle erinnerte SCHARF-Präsident und Moderator Christian Wäckerlin einführend daran, was der Begriff verspricht. Er stammt aus dem Japanischen (die «ch» werden als «tsch» ausgesprochen), bedeutet übersetzt «immer quatschend» und umschreibt eine scharf eingegrenzte und getaktete Präsentationstechnik: Sprechvortrag mit 20 Bildern zu jeweils 20 Sekunden, was nach Adam Riese eine Gesamtzeit von 6:40 Minuten ergibt. SCHARF machte daraus einen entspannt auszufechtenden Wettbewerb. Wer gewinnt, erhält eine extra grosse Flasche Rotwein (die Unterlegenen eine etwas kleinere), plus eine SCHARF-Pfefferschotenskulptur als Wanderpreis. Automatisch erfolgt ausserdem die Einladung zur Teilnahme des Folge-Pecha Kucha. Die sechs aufgebotenen Einzelpersonen und Duos lieferten ihre eigenen Bilder. Sie traten vorbereitet an und setzten sich auf ganz unterschiedliche Weise mit dem Thema «Der architektonische Raum – privat und öffentlich» auseinander.

↑ Catherine Blum (links) und Sonja Flury brachten ein Plädoyer vor: Der Berta Rahm-Pavillon soll einen Standort in Schaffhausen erhalten.

Kampagne für den Pavillon

Der erste Pecha Kucha-Vortrag war dem «Saffa Pavillon» von Berta Rahm gewidmet. Die Architektin, Verlegerin und Autorin Berta Rahm (1910-1998) verbrachte ihre Jugend in Hallau und gründete später in Schaffhausen einen Verlag. Für die Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit (SAFFA) von 1958 in Zürich plante sie einen kleinen, eleganten Pavillon. Über ein halbes Jahrhundert nach der Ausstellung wurde der Kleinbau in einer Champignonfabrik in Gossau (ZH) wieder «entdeckt». Der Verein ProSaffa1958-Pavillon konnte ihn in Besitz nehmen. Er sorgte für seine sorgfältige Zerlegung und Einlagerung. Nun wird nach einem passenden Standort gesucht. Schaffhausen wäre ein passender Standort – das war kurz zusammengefasst die Pecha Kucha-Botschaft, die Catherine Blum vom Verein Berta-Rahm Pavillon (SH) und Sonja Flury vom Verein ProSaffa 1958-Pavillon dem Publikum vermittelte. Berta Rahm war dem Kanton und der Stadt während ihres ganzen Lebens verbunden, Schaffhausen stellt somit einen berechtigten Anspruch, der durch den Verein Berta-Rahm Pavillon vertreten wird. Unter den 20 Bildern der Präsentation waren auch einige Fotomontagen, welche Ideen zum konkreten Standort vermittelten. Das Umfeld des Munots durfte nicht fehlen, auch Terrain, das nach dem kürzlichen Nein zu Autobahn-Ausbauplänen wieder zur Verfügung stehen könnte, wurde in Wort und Bild erwähnt. Catherine Blum und Sonja Flury nutzten die Gelegenheit auch für einen Hinweis, dass der Schaffhauser Pavillon-Verein neue Mitglieder und Spenden willkommen heisst.

↑ Architekt Julian Wäckerlin berichtete von der neu gegründeten Gruppierung ZAS*, die in Zürich in einem Pavillon ein «Ämtli» betreibt.

Visions-Station in der Stadt Zürich

Eine Verquickung von Vergangenheit und Zukunft verkörperte der Beitrag von Architekt Julian Wäckerlin. Bei ihm ging es um Zürich, wie es ist und wie es sein könnte. Im Kern seiner Ausführungen stand die Gruppierung ZAS*. Das Akronym ist eine Hommage an die «Zürcher Arbeitsgruppe für Städtebau», die als ZAS (ohne Stern) von 1959-89 oft gewagte Visionen für die Limmatstadt entwickelte. Das selbe möchte fortan ZAS* tun, auf architektonischer aber auch politischer Ebene.

Im Zentrum des Pecha Kucha stand das im vergangenen September eingeweihte «Ämtli für Städtebau». Es residiert in einem konkreten Haus, oder besser Häuschen: dem einstigen Kulturpavillon mit Ticketzentrale auf dem Werdmühleplatz, dessen Erstellung Ende der 1970er-Jahre wegen den horrenden Kosten für einen Skandal sorgte. Der Standort ist gut gewählt, die grossen (Bau)-Ämter der Stadt umringen den Pavillon und sollten sich über den Input jener, die im Ämtli die Grenzen im politischen wie auch gedanklichen Raum sprengen, freuen.

↑ Wohn- und Architekturpsychologin Mirjam Candan stellte positiv und negativ empfundene Räume einander gegenüber.

Interaktion Raum-Mensch

Viel allgemeiner orientiert als die vorangegangenen Auftritte war der Beitrag von Mirjam Candan, die sich mit Wohn- und Architekturpsychologie sowie mit der Sozialraum-Entwicklung auseinandersetzt. «Wie der Raum uns prägt», stand als Titel im ersten der 20 präsentierten Bilder – wovon eines ein kurzer Filmbeitrag war. Hier ging es stark um das Gute, Wertvolle, Künstlerische welches einen Menschen positiv prägt, und das Schlechte, Unachtsame, welches demselben aufs Gemüt schlägt. Stimmungsvolle Raumabbildungen mit eingeblendeten Zitaten gaben den Ausführungen einen gesellschafts- und kulturhistorischen Hintergrund. Er machte darauf aufmerksam, dass gesellschaftliche Konventionen entsprechende Urteile beeinflussen.

Mirjam Candan betonte, dass «das Wohnumfeld als Möglichkeitsfeld» beim Erkennen eines identitätsstiftenden Raumgefüges eine wichtige Rolle spielt. Als positives Beispiel erwähnte sie diesbezüglich die Genossenschaftssiedlung «s Wagi» in Schaffhausen, durch welche das SCHARF früher im Jahr eine Begehung organisierte. Die Siedlung bietet gerade den jüngsten Mitbewohnenden ein adäquates «Möglichkeitsfeld».

↑ Architekt Timo Bauer entführte das Publikum ins Universum der Fundstücke, die er in verschiedenen Industrielandschaften sammelte.

Ungeahnte Qualitäten

Einen ganz anderen Ansatz zur Beurteilung architektonischer Räume als Miriam Candan vertrat in seinem Pecha Kucha-Beitrag Architekt Timo Bauer. In einem Studienprojekt befasst er sich mit Infrastrukturräumen, bei denen nicht das Schöne oder die «Autorenarchitektur» im Vordergrund steht, sondern das Zweckmässige, Notwendige. Wegen der Ausdehnung der Siedlungsgebiete kämen diese oft gemiedenen Zonen immer mehr in Kontakt mit Gegenden, in denen sich viele Menschen aufhalten, was zu Konflikten führen kann. Umso wichtiger ist es, die Eigenschaften und Charakterzüge dieser Zonen zu kennen.

Timo Bauer besuchte von Infrastruktur- und Industrieanlagen geprägte Gebiete in Grossbritannien und Japan. Oft war er bei seinem «Schritt aus der Komfortzone heraus» mit dem Velo unterwegs, und schon das alleine stellte inmitten des Schwerverkehrs ein bisweilen riskantes Abenteuer dar. Die besuchten Orte und Strukturen hielt er mit Skizzen fest, die er zurück in der Schweiz ausarbeitete und weiterentwickelte. Mit seinem kurzen Beitrag konnte Timo Bauer zeigen, dass sich an unbekannten, oft auch als «anonym» bezeichneten Orten poetische Qualitäten finden lassen, die man dort kaum erwarten würde. In einem ersten Schritt nutzte Timo Bauer seine neuen Erkenntnisse für ein Diplomprojekt, bei dem es um die «Hybridisierung» des Rangierbahnhofs in Spreitenbach (AG) ging.

↑ Architektin Clara Richard Gostynski nahm das Publikum mit auf eine Reise in die Architektur der Mütter und Grossmütter.

Weibliche Empfindungsfragmente

Architektin Clara Richard Gostynski stellte «Fragmente, Objekte und Architektur» vor, welche sie seit 2021 zusammen mit ihrer Berufskollegin Ella Esslinger über die räumliche Welt ihrer Mütter und Grossmütter – und von Müttern und Grossmüttern schlechthin – sammelt, sortiert und auswertet. In der Schriftenreihe «Nachglühen» machen die beiden ihre Forschungsarbeit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Dies im Wissen, dass die sich abzeichnenden räumlichen Erlebniswelten die Befindlichkeit, aber auch die Erziehungsarbeit durch das
20. Jahrhundert prägten. Das wirkt sich bis heute auf das Schaffen von Architektur aber auch deren Akzeptanz aus. Das reichhaltige Archivmaterial huschte als Bildfolge über die Leinwand neben der Sprecherin. Es gehört, wie Ella Esslinger betonte, zum Quellenmaterial der «Geschichte dessen, was wir als Domestic Monuments des 20. Jahrhunderts bezeichnen». Und es weit hin auf die Grenzen zwischen privat und öffentlich, zwischen dem Eigenen und dem Allgemeinen – zudem auch auf den diffusen Charakter dieser Grenzen. Diese lassen sich nie scharf ziehen. Architektinnen und Architekten müssen sich das hinter die Ohren schreiben.

↑ Beobachter Peter im Obersteg (links) und Architekt Pierre Néma nutzten in ihren Bildern die gelben Landibänke der Brüder Ricklin als roten Faden.

«raumsehen»

Für den letzten Beitrag trat wie für den ersten ein Duo auf. Beobachter Peter im Obersteg und Architekt Pierre Néma reizten mit ihrer sorgfältig orchestrierten Vorstellung das Pecha Kucha-Format gut aus; die Präsentation näherte sich einer poetischen Performance an.

Anhand von Bildern aus ihren privaten Sammlungen und mit einer gut dosierten Prise Humor zeigten im Obersteg und Néma, dass wir im Raum, sei es nun in der Wildnis oder der Zivilisation, immer nach Halt suchen. Symbolisch zeigte dies die Reaktion auf die zersägten gelben Landibänke, welche Schaffhausen dieses Jahr die Brüder Patrik und Frank Riklin bescherten. Sie tauchten als Montage wiederholt in der Bilderfolge auf – intakt, soweit man erkennen konnte. Im Obersteg und Néma sehen sie als Aufforderung, räumliche Verhältnisse zu überdenken und sich gelegentlich von den gewohnten Mustern der Raumempfindung zu lösen, gerade wenn es um das Potenzial einer Durchmischung von öffentlichen und privaten Raumfunktionen geht. Als «Belohnung» warten «Raumflüsse, die atmen können».

Die sechs Präsentationen repräsentierten das weite Spektrum, welches das Format Pecha Kucha trotz seinem eingrenzenden Konzept zulässt. Faktisches und Poetisches finden ihn ihm gleichwertig Platz, bestehendes Bildmaterial kann in den Rhythmus eingepasst werden und enthält dadurch vielleicht neue Qualitäten. Für einen Wettbewerb waren die Präsentationen eigentlich zu unterschiedlich, um als Konkurrentinnen gesehen zu werden. Doch die grosse Weinflasche für den beliebtesten Beitrag stand zusammen mit der Pfefferschotenskulptur bereits auf der Bühne. So wurde das Publikum aufgefordert, jeden Beitrag nochmals zu beklatschen, was in Dezibel gemessen wurde. Den höchsten Wert erreichte Timo Bauers Beitrag. Ein würdiger Sieger, vor allem seine schönen Skizzen, eine Mischung aus Analyse und Kunst und ein traditionelles Darstellungsmittel in der Architektur, könnten den Ausschlag für die besonders grosse Begeisterung gegeben haben.

* Manuel Pestalozzi, dipl. Arch. ETHZ und Journalist BR SFJ, betreibt die Einzelfirma Bau-Auslese Manuel Pestalozzi