Behutsam restauriert und radikal ergänzt

IMG_2156
Ergänzung im Bestand: Die Raiffeisenbank in Diessenhofen ist ein Beispiel, das Aufsehen erregt. Architekt Roman Giuliani führte die scharf-Mitglieder an einer Veranstaltung im April vor Ort in sein Werk ein, das auf starke Kontraste setzt.
Raiffeisen ist nicht mehr die kleine Landbank von einst. Vielmehr ist die Gruppe in der Schweiz zu einem modernen Schwergewicht herangewachsen. Mit dem dichtesten Bankstellennetz prägt sie auch die Architekturlandschaft mit. Dabei fällt Raiffeisen nicht durch einen gestalterischen Einheitsbrei, sondern durch eine Vielfalt qualitativ anspruchsvoller Neu- und Umbauten auf. Zu den jüngsten Beispielen zählt die Geschäftsstelle in Diessenhofen.
Die Liegenschaft besteht aus der rund 100-jährigen Villa Rosenheim, die durch einen Anbau ergänzt wurde. „Wir wollten einen Baukörper ansetzen, der radikal anders ist als das alte Haus“, erkärt Cornelius Keller, der Vorsitzende der Bankleitung. So symbolisiert das neue Ensemble die Spannung zwischen dem historisch Gewachsenen und dem Vorwärtsgewandten, wie sie heute für die Raiffeisenbank typisch ist. „Ein Bau, der die neue Raiffeisen und ihre Kundschaft optimal repräsentiert“, merkte deren oberster Chef Pierin Vinzenz anlässlich der Eröffnung an.
Ausblick statt Einblick
Die Villa Rosenheim steht an der Nahtstelle zwischen Altstadt und neuen Quartieren. Sie markiert dort eine starke Präsenz in einem kleinen Parkgrundstück, bei dem man vergeblich nach rechten Winkeln sucht.
Giuliani entschied sich deshalb gegen einen Kubus, vielmehr dockte er der Villa einen Baukörper an, der mit der verzogenen Grundstücksfläche korrespondiert. Obschon nur eingeschossig, wirkt der Neubau recht dominant – vorläufig jedenfalls, solange er noch nicht (wie vorgesehen) mit weissen Kletterrosen eingewachsen ist. Die zwei riesigen Fenster werden aber auch dann ein Blickfang bleiben. Laut Giuliani sind es die grössten heute herstellbaren Verglasungen. Sie erinnern an gigantische Bildschirme, gewähren aber wegen ihrer schrägen Anordnung keinen direkten Einblick in die Kundenhalle. Dagegen verbinden sie das Innere mit dem Aussenraum, holen quasi den Park in den Annexbau: Der Ausblick geht in die Höhe, in die Kronen der grossen Bäume, den Himmel darüber, wo sich ein Rabe niedergelassen hat auf einer Bauvisierstange – Ausschnitt aus dem „Kunst-am-Bau“-Werk von Yves Netzhammer.
Keller stellt fest: „Das unkonventionelle Äussere wird von Passanten und Bankkunden interessiert und kontrovers diskutiert. Vom Inneren sind alle auf Anhieb begeistert.“ Der Raum wirkt, obwohl mit Technik vollgepackt, dank den grossen Fensterflächen und der spärlichen Möblierung leicht. Gleichzeitig strahlt er trotz der harten Oberflächen von Beton und Glas Wärme aus. Dies dank der Verwendung von Eichenholz und harmonischen, mit dem Altbau korrespondierenden Farben, die aber hier zurückhaltender eingesetzt wurden. Lediglich die Decke, so Giuliani selbstkritisch, sei etwas mit Technik überladen – die Bankkunden dürfte das kaum stören.
Nah am original
Die Konzentration der sicherheitsrelevanten Technik auf den Neubau (wo sich auch der Tresorraum befindet) brachte einen grossen Vorteil: Der denkmalgeschützte Altbau liess sich ohne grosse Eingriffe renovieren. „Unser Ziel war, soviel wie möglich zu erhalten“, erklärt Giuliani. Rosenheim war eine Villa Kunterbunt: Jedes Zimmer hatte eine andere Farbe. Die Patina hat man, beispielsweise bei der alten Tapete in einem kleinen Besprechungszimmer, soweit möglich belassen. Ihr Muster wurde übrigens bei den Glaswänden im modernen Annexbau als Gestaltungselement übernommen. Auch bei der Farbgebung blieb man so nah wie sinnvoll am Original, und selbst die alten Kastenfenster wurden sorgfältig restauriert. Entstanden sind sehr individuelle Büros, die laut Keller von den Raiffeisen-Mitarbeitern sehr gut aufgenommen wurden.
Gedankenräume aufstossen
Eine Klammer über die kontrastierenden Baukörper gesetzt hat Yves Netzhammer: Sein Kunst-am-Bau-Projekt besteht aus schlichten Bauvisier-Stangen, die aussen am Gebäude und verkleinert von der Decke hängend innen im Annexbau angebracht sind. Eine Anregung, über den jetzigen Zustand hinauszuschweifen, neue Beziehungen zu schaffen und Gedankenräume aufzustossen? Ganz im Sinn des „Was wäre wenn?“