13. Mai 2022: Ein dialogischer Spaziergang mit dem Stadtgärtner Florian Brack ausgehend vom Steigschulhaus über den Rauschengut-, Promenadenpark und Herrenacker mit dem Finale beim Klosterbogen.
Personen: Der Gärtner C. B. Der Präsident Jemand Jemand anders Der Verfasser
Der Spaziergang beginnt bei der Steigschule, vor der Alten Sternwarte. Der Aufgang ist abgesperrt –
Absturzgefahr. Die Personen betreten nacheinander den Platz und schütteln sich die Hände. Man kennt sich.
Der Präsident Fast hätte ich dich nicht erkannt! Jemand Wir haben uns bestimmt seit 30 Jahren nicht gesehen… Der Präsident …und wie sich die Stadt in dieser Zeit verändert hat! Jemand anders Meiner Wahrnehmung nach gar nicht so sehr. Ausser um den Bahnhof herum. Aber ich bin ja auch erst seit Kurzem wieder zurück.
Der Gärtner tritt hinzu und begrüsst die bereits Anwesenden. Er wohnt in Schaffhausen. Von anderen Chefbeamten sagt man, dass sie um 17 Uhr den Zug nach Zürich nehmen. Auch der Verfasser wird später nach Zürich zurückfahren. Es schlägt Viertel nach fünf.
Der Präsident Geschätzte Anwesende, willkommen zur ersten SCHARF-Veranstaltung im neuen Jahr. Nach langer Veranstaltungspause, die wir für eine interne Standortbestimmung nutzten, machen wir motiviert weiter! Den Spaziergang heute moderiert C. B. C. B. Heute dürfen wir den Gärtner begrüssen. Er leitet den Bereich Grün Schaffhausen seit gut eineinhalb Jahren. Er ist Landschaftsgärtner, Obst- und Weinbauingenieur, hat einen Master in Umwelt und Natürlichen Ressourcen, forscht im Freiraummanagement, ist Vorsteher des Verschönerungsvereins und vieles mehr. Der Gärtner Ich möchte drei Stichworte in die Runde werfen: Umgebung - Aussenraum - Freiraum. Darf ich Sie bitten, eines davon auszuwählen? Jemand Freiraum! Jemand anders Ja, Freiraum! Der Gärtner Gut, dann soll Freiraum unser heutiges Stichwort sein. Es soll ein dialogischer Spaziergang werden. Wir werden uns entlang von Orten bewegen, die vor meiner Zeit gebaut wurden und die wir jetzt pflegen. Bei Grün Schaffhausen bewegen wir uns von der Planung bis zum Bau und Unterhalt. C. B. Dann bleiben wir doch beim Du. Dein Vorgänger war Felix Guhl: (https://www.sch-ar-f.ch/?p=2966) Der Gärtner Ja, ich habe schon andernorts mit Felix zusammengearbeitet - Hier beim Schulhaus Steig soll eine neue Turnhalle gebaut werden. Soll diese nun von der Turnhalle oder vom Freiraum her geplant werden?
Der Gärtner wischt sich den Schweiss von der Stirn.
Der Gärtner Heute ist ein Maitag und es ist schon sehr heiss, auch noch um diese Tageszeit. Welche Begrünung verträgt es neben den spielenden Kindern auf dem Hartplatz? Mit solchen Nutzungs-Klima-Konflikten haben wir es täglich zu tun. Entsiegeln wir die Oberflächen, verursachen die Kieselsteine dem Hauswart einen Mehraufwand. Jemand Und was ist mit den Platanen? Jemand anders Ja, ich habe gehört, die Platanen sollen gefällt werden? Der Gärtner Wie bestehende Qualitäten erhalten und vorhandene Materialien wiederverwendet werden können, ist sehr wichtig. Dem Erhalt des Baumbestands kommt dabei oberste Priorität zu. Jemand Bleiben die Platanen nun erhalten oder nicht? Der Gärtner Das kann ich nicht alleine entscheiden. Jemand anders Die Platanen müssen der Turnhalle weichen. Der Gärtner Ich bin als Experte ins Projekt involviert worden. Am Schluss müssen wir oft einen Kompromiss eingehen. Die Architekten haben eine Stimme. Ich persönlich finde, Bäume sollten Generationen überdauern können. Die nächste Generation sollte Bäume im Vorrang antreffen können. C. B. Ein vielfältiger Ort. Der Gärtner An dem wir auch an Themen wie Inklusion und Barrierefreiheit denken müssen. Wie beispielsweise Bewohnerinnen des benachbarten Altersheims in den Schulbetrieb mit einbezogen werden können. C. B. Ich schlage vor, wir gehen weiter. Der Gärtner Den alten STRUKTUREN entlang.
Die Gruppe begibt sich den alten Friedhof hinunter, der an die ehemalige Steigkirche grenzte. Immergrüne Gehölze und Grabsteine säumen den Weg bis zum Rauschengutpark. In den Randbereichen wurden in den letzten Jahren verschiedene “ökologische Elemente” aufgebaut. Die Dichotomie zwischen Natur und Kunst löst sich auf. Die unter Halmen liegende Skulptur “ein starkes Zeichen” von Jennifer Bennett (2019) erinnert an die Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen.
Jemand Gehört das Kunstwerk nicht in die Mitte? Was soll ein Denkmal im Rücken des Besuchers? Jemand anders Was soll ein Kunstwerk im Randbereich? Der Gärtner In Randbereichen finden wir auch Wertvolles. Jemand Das Kunstwerk gehört vor das Schaffhauser Panorama! Der Gärtner Und letztens sass hier mitten auf der Fläche ein Mann im Rollstuhl, der einfach nur die Aussicht genoss. Das Kunstwerk hätte ihm den Platz versperrt. Das müssen wir auch mitdenken. C. B. Wie sieht Deine Mitsprache denn aus, wenn es zum Beispiel um die Platzierung des Kunstwerks geht? Der Gärtner Als Grün Schaffhausen sind wir die erste Anlaufstelle für alle Entwicklungsstufen der Grün- und Freiräume, stellen wir uns Pflege- und Zeitfragen, stellen Überlegungen zu Lebenszyklen an. Ein GIS-Layer regelt die Zuständigkeiten. Wir setzen uns für Vielfalt ein, nicht vereinfachte Pflege. Dabei müssen wir aber auch an den Budgetrahmen denken.
Vorbei an herrschaftlichen Anwesen, denen die Rehe bei offenen Toren die Rosenknospen abfressen, geht es über den Promenadenstieg weiter hinunter bis zum Franzosendenkmal.
C. B. Wie entdeckst Du eigentlich neue Orte? Der Gärtner Ihr kennt diese Anlage eigentlich viel besser als ich. Der Präsident Was uns interessiert, ist Deine Aussensicht!
Aufgefordert zu einer Aussensicht behauptet der Verfasser, dass es kein Aussen mehr gibt. Eine scharfe Aussensicht hält er für ebenso unmöglich wie eine scharfe Innensicht. Er sucht den unscharfen Blick. Am 23. Oktober 2021 ging ZAS* mit Facettenaugen durch die Stadt: https://www.sch-ar-f.ch/?p=3203
Der Gärtner Umsonst bin ich nicht hergekommen. Wie gesagt habe ich schon vorher mit Felix Guhl zusammengearbeitet und Grün Schaffhausen macht schon seit Längerem einen guten Job. Altgrasstreifen werden stehen gelassen, es wird faunaschonend gemäht und die Pflege ist naturnah. Den Komplettverzicht auf chemische Pflanzenschutzmittel prüfen wir gerade. C. B. Wir befinden uns hier auf einer Aufschüttung, einem ehemaligen Steinbruch. Jemand Sagt Ihnen der Name Evariste Mertens etwas? Jemand anders Oder Arnold Neher? Jemand Die Anlage von Industriellenvillengärten? Jemand anders Und von Pleasuregrounds? Jemand Ummantelnden Gehölzkulissen? Jemand anders Geschwungenen Brezelwegen? C. B. Die ursprüngliche Anlage ist heute durch eine Strasse zweigeteilt.
Der Gärtner zeigt einen historischen Plan. Im Kies liegen zerbrochene Bierflaschen. Musik aus einer Boombox. Kendrick Lamar im Fäsenstaubpark: GOD. Don’t judge me!
Der Gärtner Wir befinden uns auch an einem Partyort. C. B. Was ist aber Deine HALTUNG, die über die Pflege hinausgeht? Was ist Dein Ziel für Schaffhausen? Der Gärtner Die Weiterentwicklung über Pflege und sanfte Eingriffe ist sehr wichtig. Freiraum braucht Zeit. Nicht alles muss fertig geplant werden. Veränderung darf sich auch über neue Nutzungsformen einstellen. Aufbruch zu signalisieren und einen komplett neuen Park zu entwickeln wünsche ich mir aber schon auch - zwischendurch mal voll drauf zu hauen! C. B. Welche Rolle spielen dabei Zwischennutzungen? Flächen dazu gibt es ja: die Breite oder auch andere Orte. Der Gärtner Wir müssen langfristig denken, die Ideen sind oft schon im Entstehen, wenn man sie noch gar nicht wahrnimmt. Bei Grün Schaffhausen denken wir dabei an die Anpassungen an das Stadtklima und den Betrieb in Bezug auf die Ressourcen zu optimieren. Das spielt auch beim Kammgarnhof eine Rolle. Jemand Wie war das denn bei der Kammgarnhof-Jury?
Der Verfasser ist befangen.
Der Gärtner Die städtischen Plätze unterstehen der Stadtplanung. Grün Schaffhausen wird als Expertinnen involviert. Jemand anders Wie sieht es denn dort mit dem Miteinbezug aus?
Über eine Fussgängerbrücke gelangt die Gruppe weiter auf den neu gestalteten Herrenacker. Unten rauscht ein Zug durch. Bald sollen Rinnsale den geneigten Platz hinunterlaufen und Kinder zum Wasserspiel einladen. Auf der Bautafel ist ein glückliches Stadtleben abgebildet. An den Platzrändern stehen leere Baumtröge.
Jemand Hier muss man ja gleich den Kopf in den Baumtrog stecken. C. B. Ein emotionaler Ort, an dem das Stars in Town stattfindet, und an dem es das Positive zu betonen gilt. Der Präsident Was mir hier gefällt, ist der Mut zur Leere! Jemand anders Bedroht durch die Eventisierung des öffentlichen Raums! Der Gärtner Ich persönlich schätze den offenen Platz. C. B. Darüber hinaus handelt es sich um eine innerstädtische Typologie. Der Gärtner Ein Platz mit Open Air und gebaut auf einer Tiefgarage kann aus meiner Sicht kein grüner Park sein. Wir müssen uns die Grundsatzfrage stellen: Wie viel Grün wollen wir auf einem Platz? Und wie viel brauchen wir unten dran? Da, wo die Pflanzen wachsen? Die Baumtröge - dieser Entscheid ist nunmal gefällt worden. Dafür ist die Bewässerung sensorgesteuert. Jeder Trog wird einen Baum aufnehmen, mit einer Unterbepflanzung aus Stauden. Jemand Früher war das ein nackter Turnierplatz, der hart auf die Fassaden traf. Die Randbepflanzungen werden die räumlichen Wirkung verunklären. Die Baumtröge werden zu einem raumbildenden Element. Der Präsident Immerhin haben wir jetzt einen Kompromiss, der alle Aspekte miteinbezieht. Das Resultat einer materialtechnischen Suche nach einem Belag, der allen Belastungen standhält. Ich freue mich auf das mäandrierende Wasser und die Köcher für die Sonnenschirme. Wer wohl die betriebliche Verantwortung übernehmen wird? Die angrenzenden Lokale? Das SCH-AR-F spricht unter sich: “Je intensiver die Nutzung sein muss, desto weniger Bepflanzung ist möglich.” “Warum nicht überall Pflastersteine?” “Das entspräche einem Platz!” “Die Kosten!” “Die Tiefgarage umbauen, dass der SUV wieder parkieren kann.” “In der Bleiche hat man wieder das Gleiche gemacht.” C. B. Beim Kammgarnhof haben wir es wieder mit einem Platz mit einer Tiefgarage darunter zu tun. Der Gärtner Die BESTELLUNG war gegeben. Ausgesucht wurde unter den entsprechenden Projekten. Dies ist uns gut gelungen, weil es im Gewinnerprojekt Aussparungen für das Baumwachstum gibt. Die Herausforderung ist jetzt, dass das Projekt wirklich auf den Boden kommt. Jemand Felix hat damals noch mit den Planern skizziert! Jemand anders Heute werden die Dinge stattdessen zusammengestrichen! Der Gärtner Sehr wichtig ist, dass wir nicht beim Substratvolumen zusammenstreichen. Wir dürfen nicht bei der Grundstruktur zusammenstreichen und dann bei der Möblierung klotzen. Ich träume davon, den Blick einmal zwei, drei Meter zu senken und mit den Röntgenaugen eines Planers an einem Wettbewerb teilzunehmen. Wo fällt welches Wasser an? Wo führe ich dieses hin? Und dies zu erklären und zu visualisieren, weil man es nicht sieht.
Beim Klosterbogen sollen sage und schreibe fünf Parkplätze abgebaut werden. Die öffentlichen Parkhäuser in der Peripherie der Altstadt sind gleichzeitig bei weitem nicht ausgelastet. Die Konzentration der Gruppe lässt nach und der Spaziergang zerfällt. 15 Minuten überzogen.
Der Gärtner Hier werden wir einen Pocket Park schaffen, wo man sein Sandwich essen kann. Wir werden Veloparkplätze schaffen, rückgebaut wird für den Moment nichts. C. B. Zuerst wird der Bogen mal befreit, dann lässt man die Leute ihn entdecken. Es sind auch solche Abfolgen kleiner Räume, die das Ganze einer Stadt stärken. Der Gärtner Zum Abschluss möchte ich eine Studie des Gottlieb Duttweiler Instituts zu Nest- und Schwarmregionen zitieren: Nester…Schwärme… https://entwicklungsstrategie-sh.ch/fileadmin/user_upload/GDI_Studie_Schaffhausen.pdf
Als der Dialog abbricht ist der Verfasser nicht mehr aufnahmefähig. Später in der Kammgarn-Beiz sitzt er dem Gärtner erneut gegenüber und hört fasziniert zu: Der Gärtner spricht von globalisierten Pflanzengesellschaften, die besser an Urin, Kot, Salz und das Klima angepasst sind. Er erzählt von der Dynamik und Schönheit seines eigenen Gartens, alternativen Bewirtschaftungsformen und Strukturvielfalt. Der Gärtner liebt seinen Garten. Zurück im Zug nach Zürich passiert der Verfasser den Rheinfall und träumt von planetarem Interplay.
Das real-fiktionale Skript beruht auf einem SCHARF-Spaziergang, der am 13. Mai 2022 stattgefunden hat. Personenschlüssel: Der Gärtner Florian Brack, Bereichsleiter Grün Schaffhausen C. B. Catherine Blum, Landschaftsarchitektin, Moderation Der Präsident Christian Wäckerlin Jemand Jemand anders Bilder Pierre Néma Skizzen Christian Wäckerlin Der Verfasser Tamino Kuny (2022)