11. November 2021:
Anlass für diese gemeinsame ’Spurensuche’ bildete das aktuell beendete Wettbewerbsverfahren «Kammgarnhof», der erste offene Projektwettbewerb in Schaffhausen seit 2003. Im Fokus standen nicht die Ergebnisse dieses Wettbewerbes, sondern Fragen zum Verfahren und zu allfälligen Problemen im Kontext eines Offenen Wettbewerbes. Wahrlich keine Auseinandersetzung mit Novitäten – Offene Wettbewerbe werden doch seit mehr als 140 Jahren schweizweit erfolgreich durchgeführt.
Auf Einladung des Schaffhauser Architektur Forums – Scharf – wurde der Abend zum erhellenden Kaleidoskop von Meinungen, Bedenken und Erfahrungen. Der Verlauf des Abends wurde ausführlich in der Presse dargestellt (siehe die Medienberichte).
Text: Paul Both
Bilder: Pierre Néma
Dazu ergänzend und in Weiterführung der abendlichen Aussprachen sollen nachfolgend einige Aspekte skizzieren – subjektiv, jedoch illustriert durch berufliches Erleben gemeinsam mit vielen Kolleginnen und Kollegen aus Architektur und Planung, vor allem mit öffentlichen, meist kommunalen Auftraggebern.
STIMMUNGSBILD AM ABEND
Wohltuend, und sicher ein Element des fair abgelaufenen Abends, war der respektvolle Umgang zwischen den TeilnehmerInnen – speziell zwischen Architekten und den Repräsentanten von Stadtpolitik und -Planung. Trotz drängender Fragen, nicht erfüllten Erwartungen und zurückliegend oft schwierigen Verständigungsprozessen wurde gegenseitig zugehört, konnten Argumente aufgenommen werden, ohne gleich neue Verteidigungslinien zu ziehen.
Einführung, Moderation sowie das Impulsreferat von Hochparterre-Redaktor Ivo Bösch zur Thematik «10 Vorteile des Offenen Wettbewerbs» bildeten eine solide Grundlage für den nachfolgenden Austausch auf dem Podium und später im Plenum. Gleichzeitig wurde erkennbar, wie fragil und verunsichert die Lage in Schaffhausen erlebt wird: Die freundliche Anwärmfrage in die Podiumsrunde, welche baulichen ‹Perlen› in Schaffhausen einem spontan in den Sinn kommen, blieb in der Luft hängen, fast erschrocken… ja, doch, die historische Bausubstanz, immerhin.
PLANUNGSKULTUR – OPTIONEN DES OFFENEN WETTBEWERBS
Aufschlussreich war die Podiumsrunde besonders dann, wenn die Beteiligten jeweils ihre persönliche Haltung zum Offenen Wettbewerb skizzierten – direkt oder verklausuliert, werbend oder mit Unsicherheit und Bedenken. Trotz, oder wegen der vorgestellten diversen Vorteile eines Offenen Wettbewerbes – im Gegensatz zum selektiven Verfahren, resp. Direktauftrag – standen sich hier einige Ansichten dialektisch, nicht selten diametral gegenüber.
Exkurs: Fast unnötig zu erwähnen, Schaffhausen ist überall. Hier zeigen sich schlicht die Realitäten so vieler kleiner und mittlerer Kommunen, welche mit komplexen Themen des Bau- und Planungswesen konfrontiert werden, die über das ‹Tagesgeschäft› hinausgehen. Das kann bedeuten, dass Erfahrungswerte und personelle Ressourcen fehlen, zumindest nicht adäquat zum Problem ‹hausintern› abrufbar sind. Dies kann unter Umständen zur Nicht-Wahrnehmung gegebener Möglichkeiten führen. Kommt hinzu, dass die Politik im Zweifel eher auf ‹Bewährtes› als auf Experimente setzt, mögliche Konflikte scheut und gelegentlich vom eigenen Mut verlassen wird (der damalige Disput um die ‹Affenkäfige› auf dem Herrenacker kann als Metapher dienen…).
Zwei Beispiele zur oben erwähnten Dialektik:
(1) Offene Wettbewerbe = Vielfalt der Lösungsmöglichkeiten
Einerseits die Chance, zu einer städtebaulichen Problemstellung eine Vielzahl unterschiedlicher sowie qualitativ hochstehender Lösungen zu bekommen.
Andererseits die Konfrontation mit unbekannten, unerwarteten und pluralistischen Lösungen. Das heisst für alle Beteiligten auch ein sich Einlassen auf neues und unsicheres Terrain, eventuell Altbewährtes in Frage zu stellen, notfalls auch eigene bisher vertretene Überzeugungen.
(2) Offene Wettbewerbe = Experimentierfelder für beteiligte Büros
Die Auslobung Offener Wettbewerbe ist ein wichtiges Element der Planungskultur: Unabhängig von Alter, Status und Grösse der beteiligten Büros und deren Mitwirkenden bieten offene Wettbewerbe jeweils innovative Rahmen für Auseinandersetzung, Konfrontation und Experimente – nicht im Ergebnis, wohl aber über die gesamte Zeit der Bearbeitung, zwischen Geniestreichen, Abstürzen und letztlich im Diskurs erarbeiteten konkreten und schlüssigen Lösungen.
GEMEINSCHAFTSAUFGABE – DAS ‹RICHTIGE› WETTBEWERBSPROGRAMM
Bei so vielen Optionen der ‹Königsdisziplin› Offener Wettbewerb, wo liegen die Vorbehalte und wie kann diesen gemeinsam begegnet werden?
Einige Anregungen zum Weiterdenken und Ergänzen:
1. Meinungsvielfalt strukturieren
Auch an diesem Abend wurde vom Podium beklagt, dass allein die Vorbereitung eines Offenen Wettbewerbes sehr mühsam sei und dass u.a. oft «zu viele Wünsche von zu vielen» vorgebracht werden. Ein langlebiges Missverständnis, weil: niemand kann seriös erwarten, dass alle Wünsche berücksichtigt werden können und in ein Wettbewerbsprogramm einfliessen. Wie denn auch? Jedes partizipative Verfahren zeigt, dass eher selten nur eine Meinung zu einem Sachverhalt vorliegt – ein sorgfältiges Sichten der Voten und Beiträge zeigt, wie divergent diese Vorstellungen sind, durchaus sogar diametral entgegenstehend. Vor dem Hintergrund dieser öffentlichen Meinungsvielfalt (und weiterer Beiträge von Verbänden, Beteiligten, Fachpersonen…) beginnt die originäre Arbeit des Wettbewerb-Auslobers, nun eigenständig, begründet und transparent sich eine eigene Meinung zu bilden. Dieser Prozess ist, wie die Erfahrungen zeigen, von zentraler Bedeutung und muss vor Auslobung von den Verantwortlichen eines Wettbewerbsverfahrens schlüssig und verbindlich erstellt und getragen werden (unabhängig davon, ob es sich um einen Offenen Wettbewerb der öffentlichen Hand, oder von Privaten/Investoren handelt).
2. Zusammenspiel der Beteiligten bei der Vorbereitung eines Offenen Wettbewerbes
Eine grundsätzlich mögliche Problematik im Kontext der Vorbereitung und Durchführung eines Offenen Wettbewerbes durch Kommunen wurde bereits kurz erwähnt: Handelt es sich doch um ein Verfahren, welches wohl vielfach und über Jahrzehnte erprobt ist und sich sowohl als Prozess als auch in den Ergebnissen bewährt hat, jedoch speziell bei kleinen und mittleren Kommunen nicht ständig über die Tische von Politik und planender Verwaltung geht (etwa wie Zonen-/Nutzungspläne, Baugesuche etc.). Dies hat überhaupt nichts mit den Qualitäten oder Qualifikationen der dort handelnden Personen zu tun, sondern – ähnlich wie in der Medizin – speziell mit fehlender Routine aufgrund zu geringer ‹Fallzahlen›.
Das oben erwähnte Ausarbeiten des Wettbewerbsprogramms ist eine Option, wie mögliche Auslober eventuell bestehende Fragen, Defizite, Bedenken zu Verfahren und Themen in Gesprächen mit Fachpersonen seriös abklären können. Selbstkritisch angemerkt, vielleicht eine Bring-Schuld von Seiten Planer- und ArchitektInnen gegenüber den Verantwortlichen von Städten und Gemeinden. Absolutes Vertrauen vorausgesetzt, können diese gemeinsamen Findungen oft mehr zu komplexen Projekten beitragen, als manche Verordnungen und Paragrafen. Um Missverständnissen vorzubeugen: gemeint sind hier keine geheimen Absprachen zum Nutzen oder Schaden Dritter, sondern das Bemühen um die weitsichtige Klarheit in einer Aufgabenstellung, so, dass mögliche Unsicherheiten nicht einer besseren Lösung entgegenstehen.
3. ‹Testplanung›
Sowohl aus den Diskussionen am Abend, als auch aus Erfahrungen ging hervor, dass der ‹Vorlauf’ zur Klärung eines validen Wettbewerb Programms bei hoch komplexen Aufgabenstellungen auch darin bestehen kann, vorgängig eine Testplanung durchzuführen. Dieser Prozess soll hier nicht weiter erläutert werden – siehe zu den weiteren Planungsverfahren die SIA-Normen und dazu die «Wegleitung zur Ordnung SIA 143»
FAZIT MIT PERSPEKTIVEN
Programme Offener Wettbewerbe bilden für alle TeilnehmerInnen die verbindliche Grundlage der nun anstehenden kreativen und funktionalen Beiträge. Allfällige Verständnisfragen nach Ausgabe der Unterlagen werden geklärt, die Antworten gehen allen schriftlich zu.
So wird für alle Beteiligten der gleiche Informationsstand gesichert.
Ein eher vereinzelt gebliebener Wunsch vom Podium bezog sich auf mögliche, oder erwünschte Zwischenbesprechungen während der laufenden Wettbewerbsbearbeitung: nicht explizit formuliert, jedoch spürbar, war hier ein diffuser Wunsch nach Möglichkeiten zur Korrektur bzw. zum Nachjustieren. Im Plenum war eher die Haltung vertreten, dass das in die TeilnehmerInnen – und in das vorgegeben Programm – gesetzte Vertrauen keiner ‹Zwischenstationen› bedarf.
Beiträge vom Podium wie aus dem Plenum sprachen sich stattdessen dafür aus, die Wettbewerbsprogramme sorgfältig und auf den eigentlichen ‹Kern› hin zu formulieren: keine Detailverliebtheit, sondern den zentralen Gedanken, die tragende Philosophie der Aufgabenstellung darzustellen.
Schliesslich: Als Auslober und als Jury sollte man sich und dem eigenen Mut vertrauen, zum Programm stehen, Charakter zeigen, auch und gerade dann, wenn zeitweise Gegenwind auszuhalten ist.
Und, ja, der Abend war informativ, offen und auch deutlich im Vermitteln differenter Positionen. Ein Werben um gemeinsame Wege zu mehr Offenen Wettbewerben – in der Überzeugung, dass diese Form von Planungskultur mit qualitativ überdurchschnittlichen Ergebnissen nicht nur den beteiligten Büros, sondern vor allem auch dem Image und einer frischen Identität der Stadt Schaffhausen dient.
«Leichte Aufbruchsstimmung» wurde abschliessend im Podium festgestellt –
das ‹Prinzip Hoffnung› kann alle Beteiligten über diesen Abend hinaus weitertragen.
Download, SHN 13.11.21: «Architektur in Schaffhausen sucht noch Perlen»
Link Stiftung Baukultur Schweiz; Ivo Bösch, 13.12.2021: «Architekturwettbewerb – Silber der Baukultur»
Link zur Einladung: Projektwettbewerbe im offenen Verfahren
Nachschlag: Ivo Bösch. Hochparterre-Redaktor und prägnant argumentierender Podiumsteilnehmer unserer Veranstaltung von 11. Nov. 2021 zum offenen Wettbewerb, zieht in einem Klartext Fazit zum Architekturwettbewerb aus der Umfrage von Hochparterre Wettbewerbe unter den Architekturbüros. Gerne verweisen wir auf diese gewichtige Haltung zukünftiger Auslobungsverfahren von Architekturwettbewerben und bleiben in dieser Thematik weiterhin scharf dran!
Link Hochparterre: Heft5_22, Ivo Bösch