Positives Denken führt zum Möglichen

Genossenschaftliche Wohnprojekte im SCHARF-Fokus
«Positives Denken führt zum Möglichen»
Keine Frage, der genossenschaftliche Wohnungsbau bewegt auch Schaffhausen. Gut 50 Zuhörerinnen und Zuhörer kamen in den Fasskeller – ins Herz der Schaffhauser Genossenschaften – zu Referaten von Susanne Rebsamen von der Berner Genossenschaft Warmbächli und Jonathan Kischkel vom «Projekt Zollhaus» in Zürich.

bi1Andres Bächtold: Einrichten der Leinwand oder Pflöcke einschlagen für eine bunte Vielfalt an Wohnformen?

Andres Bächtold, Vorstandsmitglied bei SCHARF und bei Genossenschaftsthemen seit Jahren an vorderster Front, legte in seiner Einführung dar, wie sich das genossenschaftliche Bauen meist gleichzeitig um mehrere Themen dreht: Wohnformen, Formen des Zusammenlebens, Qualität im verdichteten Bauen und des Aussenraums, sowie den respektvollen Umgang mit Ressourcen, Mobilität, Quartierversorgung, Wohnen und Arbeiten. Die beiden präsentierten Projekte setzten diese Themen hervorragend um und haben einiges gemeinsam. Beide starteten 2013 und planen den Bezug auf 2020. Beinahe 200 Menschen werden in den Projekten Wohnraum finden, die mit den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft übereinstimmen. In beiden Projekten sind zudem soziale Durchmischung und Raum für Gewerbe wichtige Kriterien.

bi2Referentin Susanne Rebsamen und Referent Jonathan Kischkel im Gespräch mit Andres Bächtold


Ambitionierter Zeitplan in der Genossenschaft «Warmbächli» Bern

Als «die kleine Schwester der Kalkbreite» stellte die in Schaffhausen aufgewachsene Susanne Rebsamen, Gründungs- und Vorstandsmitglied des «Warmbächli», bescheiden ihre Genossenschaft vor: «Wir waren anfangs ein junger, naiver Haufen». Ihnen sei wichtig gewesen, Zeit zu haben, um sich zu organisieren und sich mit ihren Werten auseinanderzusetzen. Nach ersten Treffen folgte 2013 die Genossenschaftsgründung. Momentan zählt die Genossenschaft 260 Mitglieder im Alter von 20 bis 60 Jahren. Das Leitbild beschreibt eine Hausgemeinschaft mit unterschiedlichen Generationen, Lebens- und Wohnformen, Pflege der Gemeinschaft, mit möglichst günstigen Mieten und Umweltfreundlichkeit. Ein Ziel ist, vernetzter Teil des Quartiers zu werden. Baubeginn ist 2019 und 2020 sollen die ersten Bewohner einziehen. «Ein ambitionierter Zeitplan», räumt Rebsamen ein.
Die Wohnungsnot in Bern ist gross. Mit acht Prozenten genossenschaftlichem Wohnanteil ist man noch weit entfernt von Zürcher Verhältnissen. Das erklärte Ziel der Stadt ist jedoch – wenn auch politisch noch nicht verankert –, künftig bis zu einem Drittel aller neu erstellten Wohnungen gemeinnützig – primär genossenschaftlich – zu realisieren. Das Areal «Warmbächli» ist Berns letztes innerstädtisches Entwicklungsgebiet. Das Land wurde im Baurecht erworben. Geplant sind hier sechs Gebäude, errichtet von verschiedenen genossenschaftlichen Bauträgern. Die gemeinsamen Belange regelt eine übergeordnete Genossenschaft.
Industrieller Charme
Das Warmbächli-Gebäude ist ein ehemaliges Lagerhaus der Chocolat Tobler aus den Jahren 1965/66, mit industriellem Charme und einer Grundfläche von 74 x 40 Meter. Auf das bestehende Gebäude werden drei Wohnebenen aufgestockt, über allem thront ein Dachgarten.
Die Genossenschaft wählte für die Umsetzung ihres Projekts die Gewinner des städtebaulichen Wettbewerbs, das Büro BHSF-Architekten. Die Herausforderungen sind zahlreich: Zum Beispiel die Raumhöhen: 4.70 Meter im Unter- und 3.80 Meter in den Obergeschossen sind zu hoch für ein Einzel-, aber nicht hoch genug für ein Doppelgeschoss. Einbauten, beispielsweise Schlafgalerien, sollen nun die bescheidene Raumfläche von 35 m2 pro Person optimieren.
Geplant sind elf Wohnungstypen mit unterschiedlicher Grösse: Von der kleinen Einzimmerwohnungen bis zu Raumflächen für 10 bis 20 Personen, die von den künftigen Nutzern selbstbestimmt ausgebaut werden. Total entsteht Platz für 200 Personen. Die Parkplatzzahl ist beschränkt, viel Wert wird dagegen auf eine gute Veloerschliessung und Platz für Kinderwagen gelegt.
Ein Drittel des Gebäudes ist allerdings als Wohnraum ungeeignet. Dort soll ein Nutzungsmix mit sozialen und kulturellen Einrichtungen sowie Kleingewerbe die Hausgemeinschaft sinnvoll ergänzen und die Vernetzung im Quartier fördern. So wird es im Warmbächli künftig auch Gemeinschaftsraum geben für alle 600 bis 800 auf dem Areal ansässigen Personen. Die Gemeinschaftsräume sind gemäss Susanne Rebsamen ein grosses Diskussionsthema: «Gemeinschaftsküche, Dachgarten, Gästezimmer, Platz für alle auf dem Areal … Der Wunschzettel schrumpft mit den Erfahrungen.»
Die gesamten Anlagekosten von 42 Mio. Franken verteilen sich auf Eigenkapital (Anteilscheine, Beiträge Stadt an Silorückbau) 3.3 Mio, Eigenmittel (Darlehen Privatpersonen, Stiftungen, Stadt) 3 Mio., Instrumente gemeinnütziger Wohnungsbau 6 Mio. Das benötigte Fremdkapital beträgt folglich 29 Mio. Franken (70.9%). Das Pflichtanteilskapital künftiger Bewohner beträgt 20’000 bis 30’000 Franken. Solidaritätsinstrumente für Leute, die einen solch stolzen Betrag selbst nicht aufbringen können, sind eingeplant.
 
Genossenschaft Kalkbreite Zürich: Experimentierfeld «Zollhaus»
Beim zweiten Vorhaben illustrierte Jonathan Kischkel, Vorstandsmitglied der Zürcher Genossenschaft «Kalkbreite», welche Hürden seit 2013 bis zum kürzlichen Spatenstich das zentral gelegene Projekt «Zollhaus» zu nehmen hatte. Obwohl die Ausschreibung auf dem SBB-Areal bei der Unterführung Langstrasse zu einem ausgesprochen ungünstigen Zeitpunkt kam, habe sich der Vorstand mehrheitlich für eine Bewerbung ausgesprochen, erinnert sich Kischkel. Aufgrund ihrer grossen Erfahrung und des überzeugenden Konzepts erhielt die «Kalkbreite» schliesslich den Zuschlag.
Finanziell bewegt sich auch das «Zollhaus» in hohen Sphären. Allein für die 5000 Quadratmeter Land von den SBB und der Stadt Zürich waren 21 Millionen Franken fällig. Hinzu kommen Baukosten von 54 Millionen Franken für das drei Gebäude umfassende Ensemble. Aus Schaffhauser Perspektive astronomische Summen. Entstehen sollen Wohnraum für 175 Menschen und ebenso viele Arbeitsplätze.
«Das Feigenblatt der SBB»
Die Überbauung liegt auf dem freigespielten Gleisareal der SBB, mit der in Zürich die innerstädtische Entwicklung forciert werden soll. Der Hauptteil der riesigen Fläche geht an kommerzielle Unternehmen. «Wir sind auf diesem Areal lediglich das soziale Feigenblatt der SBB», erklärt Kischkel salopp.
«Mit einem vielfältigen Raumangebot für Wohnen, Arbeiten, Kultur und Gemeinschaft entsteht im <Zollhaus> ein lebendiger Ort, der den Bedürfnissen des Quartiers entspricht und neue Visionen des Zusammenlebens umsetzt.»,umschreibt die Bauherrschaft ihre Ziele.Jonathan Kischkel brachte in seiner Präsentation aber auch Aspekte zur Sprache, die in der Stadtzürcher Politik rund um den genossenschaftlichen Wohnbau polarisieren. Der Vorwurf, diese Wohnungen würden vor allem Gutverdienenden aus dem links-alternativen Kreis zugute kommen, steht permanent im Raum. Ein Vorwurf, den Kischkel relativiert: «Es sind eben oft alternativ gesinnte Menschen, die eine Affinität zu innovativen Wohnformen haben.»
«Molekulares Wohnen»
Neue Wohnformen sind es tatsächlich, die die Trägerschaft im Zollhaus entwickeln will. Da ist beispielsweise die Rede von bewirtschafteten Dächern und vom «Hallenwohnen». Zweites beinhaltet zwei hohe Räume mit je 300 Quadratmetern Grundfläche, die wie beim «Warmbächli» von der Mieterschaft selbst ausgebaut werden sollen. Dabei könnte unter dem Schlagwort «molekulares Wohnen» beispielsweise die Frage stehen, ob überhaupt jede Gruppe eine eigene Küche brauche oder ob diese und andere Funktionen nicht gemeinschaftlich gelöst werden.
Eines der Kernziele für das «Zollhaus» ist die gute soziale Durchmischung. Trotz der zentralen Lage und der hohen Investitionskosten sollen alle Bevölkerungsschichten Zugang haben. Zum medialen Thema wurde die Frage nach den Auswahlkriterien, welche die Genossenschaft so definiert: «Bei der Vermietung der Wohnungen strebt die Genossenschaft eine möglichst hohe Vielfalt bezüglich Alter, Bildungsstand, Einkommen/Vermögen, Herkunft, sexueller Orientierung, etc an.» Dem medialen Bedürfnis nach Kürze folgend, titelte daraufhin der «Tages Anzeiger»: «Ausländer, schwul und alleinerziehend», der «Blick» folgte mit «Gesucht: Mieter, homosexuell, Ausländer».
Neben spannenden baulichen und architektonischen Aspekten interessierten in der Schlussrunde vor allem pragmatische Fragen. Wie einfach ist es heute noch, gewerbliche Mieter zu finden? Werden Wohnungen für sozial Schwächere quersubventioniert? Kann eine Überbauung wirklich autofrei sein? «Das positive Denken der Macher führt zum Möglichen», fasste Jonathan Kischkel die Ausführungen dazu schliesslich treffend zusammen.
Und Schaffhausen?
«Schaffhausen hat genügend Potenzial für den genossenschaftlichen Wohnungsbau. Aber hier ist doch vieles anders als in Bern oder Zürich», zog Scharf-Präsident Christian Wäckerlin ein Fazit. Es gebe hier weiterhin Entwicklungsgebiete, die man jedoch bespielen müsste. Die Veranstaltung war nicht zuletzt deshalb ermutigend, weil sie Möglichkeiten aufzeigte, wie die Zukunft des Wohnens vielleicht auch einmal in der Kleinstadt nördlich des Rheins aussehen könnte.

bi3Das Schaffhauser Publikum erschien zahlreich

https://www.warmbaechli.ch/
https://www.kalkbreite.net
Link zur Veranstaltung