Baukultur im Kopf

Kontemplative Weide: Luis Camnitzer, «Landscape as an Attitude» 1979, Bild: Alexander Gray Associates, New York
Diskurse über Baukultur an Beispielen aktueller Architektur schaffen es selten, ihre positiven Aspekte direkt zu vermitteln. Da bleiben die Architekten lieber unter sich und den Laien fehlt vermeintlich das Fachverständnis, um auf dieser oft komplexen Flughöhe mitzuhalten. Deshalb schlägt die Volksmeinung (Leserbriefe, Stammtischgespräche, politische Debatten) in der Bewertung von Architektur oft in ein vereinfachtes und negativ besetztes Monieren über vordergründig erfasste Baumängel um. Dies ist besonders dann der Fall, wenn es um die nichtmessbaren Qualitäten von Architektur geht. Es fällt auf, wie schnell die Entscheidungsträger die entsprechenden Positionen im Budget finden und als überflüssig streichen, weil im Volksmund dieses Gewisse Etwas ja sowieso Geschmacksache ist und deshalb keinem unmittelbaren Zweck dient.
Für ein Architektur Forum stellt sich schnell einmal die Frage: „Welche Ziele verfolgen die in Planungs-und Bauprozesse involvierten Akteure – Auftraggeber, Investor, Architekt, Planer und Unternehmer, die baubewilligende Behörde, die Politiker, und schlussendlich auch eine interessierte Bevölkerung – wenn sie sich um ‚Baukultur’ bemühen?
Wer bewirkt Meinungsbildung?
„Stararchitekten setzen sich mit ihren Ideen ein Denkmal“, „Design verteuert die Baukosten“, „Luxusarchitektur versus Zweckbau“
Schnell sind es jeweils die Architekten, welche als Planer und damit Verursacher dieser ‚Überflüssigkeiten’ den Kopf hinhalten müssen.
Im Zeitalter, in dem bewusst veröffentlichte ‚Fake News’ eine eigene Meinungsbildung erschweren, entwickeln solche zwischen die Zeilen eingestreuten Begrifflichkeiten im öffentlichen Diskurs eine nicht zu unterschätzende populistische Wirkung, die spätestens dann, wenn Mehrheiten gesucht werden, eingesetzt werden.
Architektur ist mehr als nur Bauen!
Gebaut wird permanent und überall. Deshalb ist Architektur ein Qualitätsbegriff einer kollektiven Disziplin. Sie lebt bestenfalls vom Engagement Einzelner, die im Kollektiv mehr wollen als Bauparzellen möglichst schnell und gewinnbringend zu überbauen. Leider ermöglichen die Baugesetzte – trotz erkannter Qualitätskontrollen – immer noch die Kehrseite davon.
Trotzdem… ein verantwortungsvoller Architekt versteht es – seine berufliche Kompetenz nach einem vertieften Fachstudium und Berufserfahrung vorausgesetzt – einen Planungsprozess im Bewusstsein des dazugehörigen Kontexts, d.h. als qualitätsvolle Veränderung eines Ortes abzuwickeln. Es gilt dabei, über alle Stationen eines Bauprozesses hinweg funktionale, konstruktive, formale und auch soziale Aspekte in einem gleichzeitigen Miteinander zu entwickeln, zu hinterfragen, den Beteiligten vorzuschlagen und umzusetzen. Dass dabei diese Gesamtleistung transparent innerhalb eines zu kontrollierenden Kostenrahmens geschieht, ist vorausgesetzt. Innerhalb dieser Fachkompetenz wird kein ‚Design’ überleben, welches ein Architekt aus persönlicher ‚Profilierungssucht’ einem Gebäude am Schluss noch aufsetzen will!
Baukultur entsteht, wenn alle Akteure in ihrer Kompetenz Optimales ermöglichen wollen, Qualität anstreben, über ein kritisches Vorstellungsvermögen verfügen, keine Angst haben und sich als ‚Kümmerer’ überdurchschnittlich einbringen. Dass dieser Prozess nicht ganz einfach ist und in unterschiedlichen Haltungen auch direkte und konsequente Auseinandersetzungen aller Beteiligten voraussetzt, ist logisch!
Die oben erwähnte Meinungsdifferenz zwischen Fachleuten und Laien beruht meistens auf einem Misstrauen in die jeweilige Kompetenz des anderen. Die Kompetenz eines Laien versus die Fachkompetenz eines Architekten für das Thema ‚Baukultur’, liegt subjektiv betrachtet aber viel näher, als viele Architekten und auch Politiker glauben!
Baukultur ist „Lebens- und Bürgertum“. Ich wage die These, dass jeder kompetent sein kann und in einer Bürgerpflicht sogar dazu verpflichtet werden kann, seine Umgebung wahrzunehmen, zu reflektieren, um daraus ein Verständnis für seine eigene subjektive Meinung zu entwickeln… weil Kultur, Architektur, Bauen und Wohnen die umfassendste Thematik im sozialen Zusammenleben von Menschen ist.
Durch das Verständnis von Baukultur lernt man zu leben!
Es geht darum, dass Menschen erfahren können, wie Raum Wirkung zeigt und welche Funktion Baukultur in unserer Gesellschaft hat. Baukultur verstehen und vermitteln heisst: Ordnung lesen, Strukturen verstehen, Systeme erfassen, Visionen entwickeln können. (Quelle: Spacespot)
Diese Auseinandersetzung kann im Innersten bei jedem selbst beginnen und endet ein Leben lang nie! In der kritischen Reflektion meines täglichen Unterwegsseins in Bezug zu meinem Verhalten erfahre ich mein Vokabular, mit dem ich schnell auch die Qualitätsmerkmale meines näheren Lebensraumes erkennen kann.
Durch den regelmässigen Austausch mit anderen Meinungsträgern (Diskurs) lerne ich meine Meinung einzubringen. Meine Subjektivität wird justiert und ich kann sie relativiert in einem Konsens objektivieren.
Durch diese kritische Aufmerksamkeit und mein stetiges interessiertes ‚Nachschlagen’ in überlieferten Meinungen zu einer Sache, wächst meine Kompetenz. Durch die Tatsache, dass jeder von uns wohnt, ist auch jeder ein ‚Direktbetroffener’ und durch die Anwendung dieser permanenten Tätigkeit ‚wohnen’ kompetent genug, um sich auch öffentlich zu dieser lebensnahen Thematik einzubringen.
Die Frage ist jedoch, in welcher Rolle und aus welchem Interesse man ‚Mitbeteiligter’ ist und wie weit man an ‚Baukultur’ partizipieren will?
Architekturvermittlung
Vermittlung von Architektur und Baukultur ist in der Schweizerischen Bildungspolitik gemessen an der grossen Notwendigkeit noch nicht selbstverständlich. Die Dachorganisation SPACESPOT sowie verschiedene Interessensgruppen bemühen sich seit Jahren um eine breitere Verankerung in den Schulen, mit dem Ziel die nächste Generation viel selbstverständlicher in diesen wichtigen Diskurs über die Baukultur einzubinden.
Baukultur ist aber weit mehr als nur Unterrichtsfach. Unsere Generationen werden immer älter. Die Weichen zu wichtigen Entscheidungen in der permanenten Umwälzung unseres Lebensraumes werden heute unmittelbar gestellt. Deshalb kümmert sich SCHARF in regelmässigen Veranstaltungen ganz speziell auch um die Vermittlung der Veränderungen unseres Lebensraumes. Zielpublikum sind Sie als wacher, aufmerksamer und kritischer (Stimm-) Bürger, ganz speziell auch dann, wenn Sie gerade nicht Architektur studiert haben!
Ich kann Ihnen versprechen, dass wir uns im kommenden Jahr in verschiedenen Veranstaltungen in die oben beschriebenen Themen vertiefen werden und kann mir gut vorstellen, dass Sie sich bei einigen davon direkt betroffen fühlen. Wir freuen uns darauf, mit Ihnen zu diskutieren.
Für den Vorstand:
 Christian Wäckerlin, Präsident SCHARF
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Sensibilisierungsmassnahmen für Baukultur:
Die Stärkung des Bewusstseins von Politik und Gesellschaft für die Bedeutung der Baukultur in der Schweiz ist angesichts der aktuellen Herausforderungen dringend, weswegen das BAK bereits ab 2016 Sensibilisierungsmassnahmen für eine umfassende Baukultur lanciert.
Quelle: Botschaft zur Förderung der Kultur in den Jahren 2016-2020
Jeder ist frei, mit einem Knopfdruck das Radio auszuschalten, den Konzertsaal, das Kino oder das Theater unbesucht und ein Buch ungelesen zu lassen. Doch keiner kann die Augen verschliessen vor den Gebäuden, welche die Bühne unseres Lebens bilden.
Quelle und Zitat: Spacespot
Links:

Spacespot
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Creaviva: Kunst und Architektur
Openhouse Zürich